Erbschein muss nicht sein -- auch wenn die Bank es gerne hätte!

BGH, Urteil vom 08.10.2013, XI ZR 401/12 = NJW 2013, 3716 ff.

von Life and Law am 01.09.2014

+++ Nachweis des Erbrechts +++ Verlangen nach Vorlage eines Erbscheins +++ Banken-AGB +++ § 307 I, II BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt): Der Erblasser E hatte bei der B-Bank (B) ein Kontoguthaben von über 100.000,- € angelegt.

Durch ein notarielles Testament aus dem Jahr 2001 setzt er die K zu seiner Alleinerbin ein. Nach dem Tod des E im Januar 2013 verlangt K von B unter Beifügung von Kopien des eröffneten Testaments sowie der Sterbeurkunde die Umschreibung des Festgeldkontos. B antwortete am 23. April 2013, die eingereichten Unterlagen seien für die Umschreibung nicht ausreichend. B beruft sich insbesondere auf ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen, die in Nr. 5 I folgenden Passus beinhalten:

„Nach dem Tode des Kunden kann die Sparkasse zur Klärung der rechtsgeschäftlichen Berechtigung die Vorlegung eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen; fremdsprachige Urkunden sind auf Verlangen der Sparkasse mit deutscher Übersetzung vorzulegen. Die Sparkasse kann auf die Vorlegung eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie der Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt wird."

Kann K die Umschreibung auch ohne Vorlage eines Erbscheins verlangen? Die AGB wurden wirksam in den Vertrag zwischen E und B einbezogen.

A) Sound

Allgemeine Geschäftsbedingungen einer Bank bzw. Sparkasse, die nach dem Tod eines Kunden generell die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts fordern, sind nach § 307 I, II Nr. 1 BGB unwirksam.

B) Problemaufriss

Die Erbin des obigen Falles wurde mit dem Erbfall Inhaberin eines kleinen Vermögens im Wert von 100.000,- €.

Anmerkung: Der Sachverhalt ist fiktiv bzw. einer anderen BGH-Entscheidung nachgebildet.1 Im Originalfall klagte hier ein Verbraucherschutzverband nach § 3 I Nr. 1 UKlaG i.V.m. § 4 UKlaG im Rahmen einer Verbandsklage nach dem UKlaG gegen die Sparkasse.

Die Freude über die Erbschaft wurde aber wesentlich geschmälert dadurch, dass sich die Bank weigerte, die Erbschaft der K anzuerkennen: Was bringt das ganze Geld, wenn man nicht rankommt? Die Bank forderte die Vorlage eines Erbscheins, was für die K mit erheblichen Kosten verbunden war. Jetzt kann man sicherlich im vorliegenden Fall die Ansicht vertreten, dass die Kosten des Erbscheins in Relation zu den 100.000,- € Erbschaft zu vernachlässigen sind. Aber immerhin kostet ein Erbschein hier über 1.000,- €2 und was ist, wenn die Bank sich ohne Vorlage eines Erbscheins weigert, überhaupt nur Auskunft über den Kontostand zu geben? Dann kann es durchaus sein, dass die Kosten des Erbscheinsverfahrens das ererbte Vermögen übersteigen!

Andererseits ist das Verhalten der Bank durchaus nachvollziehbar. Schließlich kann jeder daherkommen und sich als Erbe des verstorbenen Kontoinhabers ausgeben. Auch die Vorlage eines Testaments verschafft der Bank keine Sicherheit. Ein Testament kann jederzeit und grundlos widerrufen werden, § 2253 BGB. Zahlt die Bank das Kontoguthaben an den vermeintlichen Erben aus, taucht danach aber ein neueres, inhaltlich widersprechendes Testament i.S.d. § 2258 BGB auf, hat die Bank an den „Falschen" gezahlt. Ihre Zahlung hat dem wirklichen Erben gegenüber keine Erfüllungswirkung nach § 362 BGB, sodass sie den kompletten Betrag nochmals an den wirklichen Erben zahlen muss. Ihr steht dann zwar ein Rückzahlungsanspruch gegen den vermeintlichen Erben aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB zu, sie trägt aber das Entreicherungsrisiko nach § 818 III BGB.

Anmerkung: Etwas anderes gilt bei Sparbuchguthaben. Hier hat die Zahlung an den Sparbuchinhaber Erfüllungswirkung, § 808 I BGB.

Aus diesen Gründen ist es nicht unverständlich, wenn die Bank auf die Vorlage eines Erbscheins besteht. Aber darf sie dies auch?

C) Lösung

Als Erbin des E ist K auch Inhaberin dessen Festgeldguthabens geworden, § 1922 BGB, und kann damit grundsätzlich die Umschreibung des entsprechenden Kontos auf sich verlangen.

B könnte aber ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 I BGB zustehen, soweit sie ihrerseits das Recht hat, von K die Vorlage eines Erbscheins zu verlangen.

Da individualvertraglich eine entsprechende Vorlagepflicht nicht vereinbart wurde, kommt es auf die Wirksamkeit der entsprechenden Klauseln in den AGBen der B an.

Inhaltskontrolle der AGB

Da nach Sachverhalt von einer wirksamen Einbeziehung der AGBen nach § 305 BGB auszugehen ist, kommt es allein auf deren Inhaltskontrolle an.

I. Inhaltskontrolle eröffnet?

Der Inhaltskontrolle nach §§ 307 I, II, 308, 309 BGB stehen nur solche Klauseln offen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden, vgl. § 307 III BGB.

Dabei sind unter Rechtsvorschriften in diesem Sinne nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinne zu verstehen. Die Norm gestattet eine Inhaltskontrolle auch solcher AGB-Klauseln, die wesentliche vertragstypische Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken oder sonst gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstoßen.

Hierzu gehören auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten.3

Kontrollfähigkeit durch Auslegung zu ermitteln

Ob eine Klausel in diesem Sinne kontrollfähig oder kontrollfrei ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Rede stehenden Klausel einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise verstanden wird.

Zweifel bei der Auslegung gehen nach § 305c II BGB zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben dabei solche Auslegungsmöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und daher nicht ernstlich in Betracht zu ziehen sind.

hier: Abweichung von gesetzlicher Grundvorstellung

Grundsätzlich ist der Erbe nach den gesetzlichen Regelungen nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern kann diesen Nachweis auch in anderer Form führen. Es existiert keine Regelung, die den Nachlassschuldner berechtigt, seine Leistung auch ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung grundsätzlich von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen.4

Abweichend hiervon kann B nach dem Wortlaut ihrer AGBen die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts unabhängig davon verlangen, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht auch auf andere - einfachere und/oder kostengünstigere - Art nachgewiesen werden könnte.

Das der B in Satz 2 der AGBen eingeräumte Recht, auf die Vorlegung eines Erbscheins zu verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift von Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie der Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt werden, besteht nach dem Empfängerhorizont eines rechtlich nicht vorgebildeten, durchschnittlichen Bankkunden ebenfalls unbeschränkt. Die Bestimmung gibt nicht vor, in welchen Fällen oder unter welchen Voraussetzungen die Sparkasse zum Nachweis des Erbrechts des Kunden keinen Erbschein verlangen kann. Vielmehr räumt sie der B abweichend von der Gesetzeslage das Recht ein, im Zweifel stets die Vorlage eines Erbscheins zu fordern.

II. Keine Unwirksamkeit nach §§ 308, 309 BGB

Ein Verstoß gegen § 309 BGB bzw. § 308 BGB ist nicht ersichtlich.

III. Unwirksamkeit nach § 307 I, II BGB

Die Klausel in den AGBen könnte allerdings wegen einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 I BGB unwirksam ist. Eine solche unangemessene Benachteiligung liegt nach § 307 II Nr. 1 BGB im Zweifel dann vor, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.

Anmerkung: Diese Frage ist bislang vom BGH noch nicht entschieden worden. Insoweit interpretierte die Bank im vorliegenden Fall die BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2005 falsch, in der der BGH die Pflicht zur Vorlage eines Erbscheins jedenfalls dann verneint, wenn sich eine solche nicht aus „Sonderregelungen" ergibt. Mit Sonderregelungen in diesem Sinne meinte der BGH nur gesetzliche Sonderregelungen, nicht aber gesonderte Vereinbarungen in Form allgemeiner Geschäftsbedingungen.5

Abweichen vom gesetzlichen Grundgedanken

Die streitige Klausel gewährt B generell und unabhängig davon, ob im Einzelfall das Erbrecht zweifelhaft ist oder durch andere Dokumente einfacher und/oder kostengünstiger nachgewiesen werden kann, das Recht, auf der Vorlage eines Erbscheins zu bestehen, s.o.

Bei den Anforderungen an den Nachweis der Rechtsnachfolge ist jedoch auch den berechtigten Interessen der Erben an einer möglichst raschen und kostengünstigen Abwicklung des Nachlasses Rechnung zu tragen. Eine gesetzliche Pflicht zur Vorlage eines Erbscheins besteht gerade auch deshalb grundsätzlich nicht.

Rechtsgedanke des § 35 GBO?

Auch die Sonderregelung des § 35 I GBO spricht nicht für, sondern gegen die Wirksamkeit der Klausel.

Nach dieser Vorschrift kann zwar der Nachweis der Erbfolge gegenüber dem Grundbuchamt in der Regel nur durch einen Erbschein geführt werden. Beruht jedoch die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, so genügt es nach § 35 I S. 2 HS 1 GBO, wenn an Stelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über deren Eröffnung vorgelegt werden. Nur wenn das Grundbuchamt die Erbfolge durch diese Urkunden nicht für nachgewiesen erachtet, kann es die Vorlegung eines Erbscheins verlangen, § 35 I S. 2 HS 2 GBO. Das Grundbuchamt hat demnach bei Vorliegen etwa eines - eröffneten - öffentlichen Testaments i.S.d. § 2232 BGB grundsätzlich hierauf zu vertrauen und darf lediglich dann einen Erbschein verlangen, wenn sich bei der Prüfung der letztwilligen Verfügung hinsichtlich des behaupteten Erbrechts begründete (konkrete) Zweifel ergeben, die nur durch weitere, allein dem Nachlassgericht mögliche Ermittlungen über den tatsächlichen Willen des Erblassers oder über sonstige tatsächliche Verhältnisse geklärt werden können.

Anmerkung: Grundidee des § 35 GBO ist, dass beim öffentlichen Testament - anders als beim eigenhändigen Testament nach § 2247 BGB - vor der Beurkundung vom Notar die Identität und Geschäftsfähigkeit des Erblassers festgestellt, vgl. §§ 10, 11, 28 BeurkG, dessen letzter Wille erforscht und dieser klar und unzweideutig wiedergegeben wird, § 17 BeurkG, was zu einem gesteigerten Beweiswert führt.6

Abweichend hiervon gestattet Nr. 5 der AGBen der B, selbst bei Vorliegen eines öffentlichen Testaments und Fehlen jeglicher Zweifel an der Erbfolge, auf der Vorlage eines Erbscheins zu bestehen.

Satz 2 der Regelung, wonach die Sparkasse auf die Vorlegung eines Erbscheins verzichten kann, differenziert ebenfalls nicht danach, welche Art von Testament errichtet wurde, sondern stellt die Entscheidung über die Art des verlangten Nachweises generell in das Ermessen des Instituts.

Die Klausel knüpft damit - obwohl ein eröffnetes öffentliches Testament in der Regel als ausreichender Nachweis für die Rechtsnachfolge anzusehen ist - sogar höhere Anforderungen an den Erbfolgenachweis, als sie im ohnehin sensiblen Bereich des Grundbuchrechts von Gesetzes wegen bestehen.

keine Einschränkung vergleichbar § 35 I S. 2 GBO

Das freie Ermessen der Bank lässt sich dabei auch nicht auf Zweifelsfälle entsprechend § 35 I S. 2 GBO beschränken. Eine solche Einschränkung findet im Wortlaut der Klausel keinen Anknüpfungspunkt und kommt zudem vor dem Hintergrund des Gebots der kundenfeindlichsten Auslegung7 nicht in Betracht.

unangemessene Benachteiligung

Die unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 I S. 1 BGB wird durch den Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken der Rechtsordnung indiziert. Fraglich ist deshalb nur, ob Gründe vorliegen, die die Klausel nach Treu und Glauben gleichwohl als angemessen erscheinen lassen.

berechtigte Interessen der Bank?

Grundsätzlich hat eine Bank nach dem Tod eines Kunden ein berechtigtes Interesse daran, in den Genuss der Rechtswirkungen der §§ 2366, 2367 BGB zu kommen und so der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu entgehen.

Allerdings folgt aus dieser Wirkung nach Auffassung des BGH noch nicht, dass die Sparkasse einschränkungslos die Vorlegung eines Erbscheins verlangen kann. Ein solches, nicht auf Zweifelsfälle beschränktes Recht wird der Beklagten aber durch Nr. 5 I der AGB eingeräumt.

Daran, auch in klaren Erbfolgefällen allein zur Erlangung des Gutglaubensschutzes der §§ 2366, 2367 BGB stets auf einem Erbschein bestehen und damit öffentliche Urkunden leichter als z.B. das Grundbuchamt zurückweisen zu können, gibt es nach Auffassung des BGH aber kein schutzwürdiges Interesse.

Anmerkung: Nach dem Wortlaut der AGBen kann die Bank auch dann einen Erbschein verlangen, wenn das Gegenüber im Besitz eines Sparbuchs ist und die Zahlung an ihn somit schon nach § 808 BGB Erfüllungswirkung hat. In einem solchen Fall hat die Bank aber sicherlich kein berechtigtes Interesse an der Vorlage eines Erbscheins.

Diesen Interessen der Bank sind die Interessen des (wahren) Erben, der im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB in die Stellung des Erblassers als Vertragspartner der Sparkasse eingerückt ist, gegenüberzustellen. Diesem ist naturgemäß nicht daran gelegen, auch in Fällen, in denen er sein Erbrecht unproblematisch anders als durch Vorlage eines Erbscheins nachweisen kann, das unnütze Kosten verursachende und zu einer Verzögerung der Nachlassregulierung führende Erbscheinsverfahren anstrengen zu müssen. Ebenso wenig kann er im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung auf die Möglichkeit verwiesen werden, von ihm zunächst - zu Unrecht - verauslagte Kosten später im Wege des Schadensersatzes von der Bank erstattet zu verlangen.

Anmerkung: Einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Bank im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Bank ins Feld zu führen, ist ein unzulässiger Zirkelschluss: Erweist sich die Klausel gerade aufgrund der Möglichkeit des Kostenerstattungsanspruchs als wirksam, entfällt damit gerade wieder eben dieser Anspruch. Aus den AGBen ergibt sich ein solcher nicht, da er dort nicht erwähnt ist. Denkbar wäre er nur aus § 280 I BGB -- wenn die Bank zu Unrecht einen Erbschein verlangt hätte, was sie aber gerade bei Wirksamkeit der Klausel nicht tut, da ihr dann ja das uneingeschränkte Recht zusteht, die Vorlage eines Erbscheins zu verlangen.

Ergebnis

Die Interessenabwägung fällt somit zu Lasten der Bank aus. Es handelt sich bei der entsprechenden Klausel um eine unangemessene Benachteiligung der K.

B steht im Ergebnis damit kein Recht zu, die Vorlage eines Erbscheins zu verlangen. Sie ist vielmehr verpflichtet, der Forderung der K nachzukommen und das Guthaben auszuzahlen.

D) Kommentar

(mg). Die Entscheidung des BGH war angesichts des Meinungsstandes zur Zulässigkeit entsprechender Klauseln nicht unbedingt zu erwarten gewesen, da sie der bislang ganz h.M. widerspricht.8

Die Entscheidung des BGH ist aus Sicht der Bank auch äußerst unbefriedigend. Sie hat zwei Alternativen:

Sie zahlt an den vermeintlichen Erben und trägt das Risiko, dass das vorgelegte Testament ungültig ist, bspw. ein späteres Testament existiert, § 2258 BGB. In diesem Fall hat die Bank ohne befreiende Wirkung an einen Nichtberechtigten gezahlt. Sie muss an den wirklichen Erben nochmals zahlen und das Geld von dem Empfänger nach § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern. Bei Entreicherung des vermeintlichen Erben geht dieser Anspruch der Bank ins Leere, § 818 III BGB, sie macht einen Verlust in der ausgezahlten Höhe!

Die andere Möglichkeit für die Bank ist es, ohne Vorlage eines Erbscheins die Auszahlung zu verweigern. In diesem Fall trägt die Bank das Prozesskostenrisiko, wenn der Erbe gegen die Bank auf Auszahlung klagt und in diesem Prozess sein Erbrecht bspw. durch Vorlage genau dieses Testaments beweist, das der Bank für eine Auszahlung nicht gereicht hat. Auf der sicheren Seite ist die Bank aber auch dann nicht, wenn sie durch ein Urteil zur Zahlung an einen vermeintlichen Erben verpflichtet wurde. Dieses Urteil bindet nur die Beteiligten, § 322 ZPO. Meldet sich später ein Dritter und macht unter Berufung auf ein späteres Testament sein Erbrecht geltend, ist er an das Urteil zwischen Bank und dem anderen vermeintlichen Erben nicht gebunden, die Bank hat wieder ohne befreiende Wirkung an den Falschen gezahlt. Vermeiden kann dies die Bank nur, wenn sie die anderen möglichen Erben kennt, da sie diese dann über eine Streitverkündung nach § 75 ZPO an das Urteil binden kann.

Entscheidung nicht überzeugend

Das Urteil ist unabhängig davon, dass es für Banken sehr unbefriedigend ist, nicht überzeugend: Die Situation der Bank im Erbfall ist vergleichbar mit der im Fall einer Abtretung. Die Bank sieht sich in beiden Fällen einem neuen Gläubiger gegenüber. Bei der Abtretung kann die Bank als Schuldner die Leistung bis zur Vorlage einer Abtretungsurkunde des alten Gläubigers verweigern, § 410 BGB. Durch die Vorlage dieser Urkunde wird die Bank gegen die Unwirksamkeit der Abtretung geschützt, § 409 BGB. Auch bei Unwirksamkeit der Abtretung hat die Zahlung an den Zessionar dem Zedenten gegenüber befreiende Wirkung. § 410 BGB hat also genau den Sinn und Zweck, dem Schuldner den Schutz des § 409 BGB zu sichern.9

Ähnlich ist die Rechtslage bei einer hypothekarisch gesicherten Forderung. Nach § 1160 I BGB kann der Schuldner neben der Vorlage des Hypothekenbriefs auch die Vorlage einer (Reihe von) öffentlich beurkundeten Abtretungserklärung im Sinne der §§ 1154, 1155 BGB verlangen, damit er sich bei einer etwaigen Unwirksamkeit der Abtretung auf den Rechtsscheintatbestand der §§ 1155, 1193 BGB berufen kann.

Das Gesetz billigt in §§ 410, 1160 BGB dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis der vermeintliche Gläubiger die Urkunden vorlegt, aus denen sich für den Schuldner ein Rechtsscheintatbestand und damit ein Gutglaubensschutz ergibt. Es leuchtet nicht ein, warum dem Schuldner beim Erbschein ein entsprechendes Recht nicht zustehen soll, wenngleich zuzugeben ist, dass es eine den §§ 410, 1160 BGB entsprechende Vorschrift im Rahmen der §§ 2365 ff. BGB nicht gibt. Allein das Interesse des Erben an einer schnellen Abwicklung der Erbschaft scheint entgegen dem BGH nicht geeignet, der Bank das Risiko aufzubürden, möglicherweise die gleiche Summe zweimal zahlen zu müssen.

offene Frage

Eine Frage bleibt auch nach der BGH-Ent-scheidung weiter offen:

Was ist, wenn nur ein privatschriftliches Testament vorgelegt wird?

privatschriftliches Testament ausreichend?

Wird nur ein privatschriftliches Testament vorgelegt, könnte man mit der Wertung des § 35 I S. 2 GBO der Bank ein Leistungsverweigerungsrecht zubilligen. Dem privatschriftlichen Testament kommt nicht die gleiche Wirkung zu wie einem öffentlichen Testament. Andererseits gibt es zwischen den beiden verschiedenen Formen der Testamentserrichtung kein Rangverhältnis.

Auch ein später errichtetes privatschriftliches Testament verdrängt das ältere notarielle Testament.

zu erwartende Reaktion der Banken

Die Banken werden auf die BGH-Entscheidung reagieren und ihre AGBen ändern. Zwei Lösungen scheinen denkbar:

Zum einen ist es vorstellbar, der Bank das freie Recht zuzugestehen, die Vorlage eines Erbscheins zu fordern, wenn sie im Gegenzug anbietet, die Kosten dieses Erbscheins zu übernehmen.

Sinniger und für alle Beteiligten günstiger scheint es aber, das Recht der Bank, die Vorlage eines Erbscheins zu verlangen, auf die Fälle zu beschränken, in denen das Erbrecht des Gegenübers nicht auf andere Weise eindeutig geklärt ist.

E) Zur Vertiefung

  • Zur Gutglaubenswirkung des Erbscheins

Hemmer/Wüst, Erbrecht, Rn. 228 ff.

F) Wiederholungsfrage

  1. Welches Interesse haben die Banken an der Vorlage eines Erbscheins vor Auszahlung von Guthaben an potenzielle Erben ihrer Kunden?

  1. BGH, Urteil vom 7.6.2005, XI ZR 311/04 = Life & Law 02/2006 .

  2. Für einen Erbschein entsteht eine 1,0 Gebühr nach Nr. 12210 KV GNotKG. Bei einem Verfahrenswert zwischen 95.001,- € und 110.000,-€ beträgt die Gebühr 1026,- €.

  3. BGHZ 121, 13

  4. BGH, Urteil vom 7.6.2005, XI ZR 311/04 = Life & Law 02/2006

  5. BGH, Urteil vom 7.6.2005, XI ZR 311/04 = Life & Law 02/2006

  6. Vgl. auch Palandt, § 2232 BGB, Rn. 9.

  7. M.w.N. BGHZ 180, 257, Rn. 31.

  8. OLG Celle, NJW 1998, 82 OLG Saarbrücken, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 8 U 345/11 Casper in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl., § 3 Rn. 31; Lange/Werkmüller, Der Erbfall in der Bankpraxis, § 12 Rn. 11; Palandt, § 2353 BGB, Rn. 22; MüKo, 5. Aufl., § 2353 BGB, Rn. 171.

  9. Palandt, § 410 BGB, Rn. 1