Der Arzt, dem die Drogensüchtigen vertrauen

BGH, Beschluss vom 16.01.2014 -- 1 StR 389/13

von Life and Law am 01.08.2014

+++ Körperverletzung mit Todesfolge, §§ 223 I, 227 I StGB +++ Objektive Zurechnung +++ Abgrenzung eigenverantwortliche Selbstgefährdung / einverständliche Fremdgefährdung +++

Sachverhalt (vereinfacht): Der behandelnde Arzt A führte bereits seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Zudem war dem A bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.

A führte bei dem heroinabhängigen S seit November 2005 eine Substitutionsbehandlung durch, welche jedoch im Januar 2008 unvermittelt von S abgebrochen wurde. In der Folgezeit unterzog sich S mehreren stationären Behandlungen, um seine Heroinabhängigkeit zu behandeln, welche alle jedoch erfolglos verliefen. Daraufhin erschien S erstmals wieder im September 2010 in der Praxis des A. Hierbei trug er ein aufgeklebtes Fentanyl Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftverletzung um weitere Pflaster. Obwohl A erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er dem S zehn Fentanyl Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm in drei weiteren Vorstellungen jeweils Wiederholungsrezepte im gleichen Umfang aus, wobei keine eingehende Untersuchung des Patienten insbesondere auf Drogenfreiheit stattfand.

Im Januar 2011 kochte S unter Anwesenheit anderer Personen in seiner Wohnung die von S rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff intravenös. Hierbei verabreichte S sich versehentlich eine Überdosis, welche zu Atemlähmung führte und infolgedessen zum Tod des S.

Strafbarkeit des A nach dem StGB?

A) Sounds

1. Die Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung erfolgt anhand von Tatherrschaftskriterien wie bei der Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme.

2. Der Wissensstand aller am Geschehen beteiligten Personen ist im Rahmen der Abgrenzung zu beachten. Allein die Tatsache, dass eine Person drogensüchtig ist, macht ihren Wissensstand nicht per se unbeachtlich.

3. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden.

B) Problemaufriss

Die dem Fall zugrunde liegende Problematik der Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbst- zur einverständlichen Fremdgefährdung ist geradezu klassisch. Diese sollten Sie sicher beherrschen, da die Fragestellung immer wieder in Prüfungen abgefragt wird. Neben einer klaren dogmatischen Herangehensweise kommt es auch darauf an, die besonderen Anhaltspunkte des Sachverhalts bei der Subsumtion sachgerecht einfließen zu lassen.

C) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit von A nach dem StGB.

I. Strafbarkeit des A gem. §§ 223 I, 227 I StGB

Fraglich ist, ob A sich hinsichtlich des Verschreibens der Fentanyl-Pflaster an S wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach §§ 223 I, 227 I StGB strafbar gemacht hat.

Anmerkung: Von einer Prüfung des § 212 I StGB wird abgesehen, da im Sachverhalt keine Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln ersichtlich sind. Des Weiteren wird hier von einer Prüfung des § 224 StGB abgesehen, da dieser konkurrenzrechtlich von § 227 StGB verdrängt wird.

1. Tatbestand

Hierfür müsste der Tatbestand der §§ 223 I, 227 I StGB erfüllt sein.

objektiver Tatbestand

Es müsste der objektive Tatbestand gegeben sein. Dazu müsste zunächst der objektive Tatbestand des Grunddelikts § 223 I StGB erfüllt sein.

a) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung

Hierfür müsste S entweder körperlich misshandelt oder in seiner Gesundheit geschädigt worden sein.

Körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.1

S erhält von A die Fentanyl-Pflaster, aus denen er sich den Wirkstoff auskocht und sich selbst injiziert. Durch die hierdurch verursachte Überdosis und die sich daraus ergebende Atemdepression mit einer daraus folgenden Atemlähmung verstirbt S, sodass eine üble, unangemessene Behandlung gegeben ist, die nicht nur unerheblich ist.

Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch vorübergehenden pathologischen, das heißt negativ von den normalen körperlichen Funktionen abweichenden, Zustands.2

Durch das Injizieren des Fentanyl, welches S aus den Pflastern des A ausgekocht hat, kommt es zur Einnahme einer Überdosis, welche eine Atemlähmung, also einen pathologischen Zustand bei S hervorruft, der auch zu dessen Tode führt.

Daher liegen im Fall des S sowohl eine körperliche Misshandlung als auch eine Gesundheitsschädigung vor.

b) Kausalität

Des Weiteren müsste die Handlung des A kausal gewesen sein. Ursächlich ist nach der conditio-sine-qua-non-Formel jede Handlung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Form entfiele.3

Hätte S nicht die Pflaster von A verschrieben bekommen, hätte er sich nicht den Wirkstoff aus diesen auskochen können und hierdurch die tödliche Überdosis setzen können. Die Handlung des A war daher ursächlich.

c) Objektive Zurechnung

Fraglich ist, ob die Tat A objektiv zugerechnet werden kann. Objektiv zurechenbar ist dem Täter die Tat dann, wenn er eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.4

Hieran könnten jedoch Zweifel bestehen, sofern die Grundsätze der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bei S vorlagen.5 Unter einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung versteht man, dass sich das vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert hat, was dazu führt, dass derjenige straffrei bleibt, der lediglich die Handlung ermöglicht oder gefördert hat; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches, soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht, kein tatbestandsmäßiger und damit keine strafbarer Vorgang ist. Eine solche Handlung wäre auch nicht mehr vom Schutzzweck der Norm erfasst, da dieser endet, wo der Verantwortungsbereich einer anderen Person, hier des Opfers, beginnt.6 Wer an einer solchen Tat teilnimmt, nimmt an einem Geschehen teil, das keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 StGB darstellt.

Abgrenzungskriterium zur Ermittlung, ob es sich um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder eine grundsätzlich tatbestandsmäßige einverständliche Fremdgefährdung handelt, ist die Trennlinie zwischen Täterschaft und Teilnahme, sodass es auf die Ermittlung der Tatherrschaft ankommt, also wer den Geschehensablauf unter Kontrolle gehabt hat.

So muss das Opfer für eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung die Gefahrensituation wesentlich mitbeherrschen. Dies ist der Fall, wenn das Opfer das unmittelbar zum Erfolgseintritt führende Geschehen maßgeblich beeinflusst hat.7 Nimmt hingegen die unmittelbare Verletzungshandlung ein anderer vor, handelt es sich regelmäßig um einen Fall der sogenannten einverständlichen Fremdgefährdung.

hemmer-Methode: Lesen Sie in diesem Kontext die Entscheidungsbesprechung „Tödliches Autorennen" durch. In diesem Fall kam der BGH zu dem Ergebnis, dass es sich im Falle eines illegalen Autorennens bei dem Beifahrer um eine einverständliche Fremdgefährdung handelte, da zumindest im Moment des unmittelbaren Erfolgseintritts der Beifahrer, also das Opfer, keine wesentliche Einflussmöglichkeit auf den Tatvorgang hatte.8

Anmerkung: Die dogmatische Einordnung der einverständlichen Fremdgefährdung ist nicht abschließend geklärt. Von der h.M. wird dieser Rechtsfigur eine rechtfertigende Wirkung beigemessen. Der BGH hat in der oben genannten Entscheidung festgestellt, dass eine Behandlung als Einwilligung bei § 222 StGB -- anders als in § 315c StGB -- in Betracht kommt. Eine solche Einordnung muss jedoch ausscheiden, sofern der Einwilligende bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller Tatumstände in konkrete Lebensgefahr gebracht wurde (vgl. den Rechtsgedanken der §§ 216, 228 StGB).

Für die Abgrenzung nach Tatherrschaftskriterien ist auf den Zeitpunkt unmittelbar vor bzw. ab dem Beginn der Tathandlung, also dem Setzen der Nadel abzustellen. Zum Zeitpunkt der Injektion war A nicht in der Wohnung des S anwesend. Jedoch hätte dem A als langjährigem Arzt von drogensüchtigen Patienten bewusst sein müssen, dass die Gefahr einer solchen unkontrollierten Nutzung der Pflaster besteht, zumal A eine größere Menge von Fentanyl-Pflastern verschrieben hat, obwohl vorherigen Substitutionsbehandlungen erfolglos verlaufen sind und daher ein erhöhtes Risiko an unverantwortlichem Gebrauch bestand.

Allerdings würde bei einer reinen Betrachtung der „besonderen Fähigkeiten" des A der Wissensstand des Geschädigten S völlig verkannt. Mehr noch kann bei einem behandelnden Arzt von Drogensüchtigen nicht pauschal eine besondere Sorgfaltspflicht verlangt werden und somit unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Handelns des Patienten eine Täterschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten angenommen werden.

Anmerkung: In der Literatur ist anerkannt, dass die objektive Zurechnung bei einem „überlegenen Sachwissen" erfüllt ist, da auf Grund des überlegenen Wissens des Täters keine Eigenverantwortlichkeit des Opfers mehr in Betracht kommen soll.9

S hatte bereits eine lange Suchtkarriere hinter sich und war daher nach allgemeiner Lebenserfahrung vertraut mit den Risiken des Drogenkonsums, also auch mit der Gefahr einer Überdosis. Mehr noch kann nicht per se bei einem Drogensüchtigen davon ausgegangen werden, dass er zu keiner eigenverantwortlichen Handlung in der Lage sei. Hierfür bedürfte es für den Einzelfall einer speziellen Feststellung solcher Umstände, wie etwa ein bereits vorhandener Rauschzustand oder eine sonstige „Drucksituation".

S befand sich zum relevanten Zeitpunkt in der Gesellschaft mehrerer anderer Personen. Jedoch lässt sich aus dem Sachverhalt kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass S sich hierdurch in eine Drucksituation versetzt fühlte und sich daher die Nadel setzte. Es sind auch keine anderen Anhaltspunkte geben, die auf eine besondere Situation des S schließen lassen würden. Hieraus lässt sich schließen, dass sich S zum Zeitpunkt des Setzens der Nadel in keinem beeinträchtigten Zustand seiner Wahrnehmung oder geistigen Fähigkeit befand und somit das Geschehen vollkommen unter Kontrolle hatte. Folglich handelte es sich vorliegend um ein beherrschendes Handeln seitens des S. Dessen Kenntnis- und Wissensstand sind somit in die Abwägung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung mit einzubeziehen. Aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung handelt es sich vorliegend um eine Selbstgefährdung des S. Nach dem soeben Ausgeführten handelte S auch eigenverantwortlich.

hemmer-Methode: Vorliegend wurde ähnlich wie in der Rechtsprechung häufig üblich, eine Gesamtbetrachtung vorgenommen. Sie können auch so vorgehen, dass Sie zunächst nach äußeren Faktoren die Selbst- von der Fremdgefährdung abgrenzen. Im vorliegenden Fall wäre hiernach eindeutig von einer Selbstgefährdung des S auszugehen, da A beim Ansetzen der Nadel gar nicht zugegen war. Dann verlagert sich die Problematik auf die Frage, ob S überhaupt „eigenverantwortlich" gehandelt hat. Hierbei gibt es vor allem zwei Ansichten: Nach der sog. Exkulpationslösung wird der Rechtsgedanke der §§ 16, 17, 20, 35 StGB herangezogen: Wäre das Opfer sinnentsprechend nicht als Täter strafrechtlich verantwortlich, könne es sich auch nicht „eigenverantwortlich" selbst gefährdet haben. Nach der (vorzugswürdigen) Rechtsprechung werden hingegen die Regeln der Einwilligung sinnentsprechend angewandt (sog. Einwilligungslösung).

Daraus ergibt sich, dass A im hier vorliegenden Fall der eingetretene Erfolg nicht objektiv zugerechnet werden kann. Demzufolge ist der objektive Tatbestand der §§ 223 I, 227 I StGB nicht gegeben.

Anmerkung: Die Vorinstanz stellte lediglich auf die besonderen Fähigkeiten des Arztes ab und sah somit die objektive Zurechenbarkeit als gegeben an. Die Strafkammer ging also bei ihrer Beurteilung nicht auf die Wissenssituation des Geschädigten ein. Der BGH folgt dieser Rechtsauffassung explizit nicht, sondern verlangte (wie auch hier in der Falllösung vertreten), dass der Wissensstand des Geschädigten berücksichtigt werden muss, da es für die Ermittlung der Tatherrschaft allein auf die tatsächliche Situation ankomme und es daher verfehlt wäre, den Wissensstand des Geschädigten auszuklammern.

Beachtenswert ist zudem, dass die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. --verletzung bislang der einzige Bereich ist, in welchem die Rechtsprechung die Strafbarkeit mangels objektiver Zurechenbarkeit bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestandes entfallen lässt.

Zwischenergebnis: Der objektive Tatbestand der §§ 223 I, 227 I StGB liegt nicht vor, da dem A die Tat nicht objektiv zurechenbar ist.

2. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß §§ 223 I, 227 I StGB durch das Verschreiben der Fentanyl-Pflaster strafbar gemacht.

II. Strafbarkeit des A wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB

Durch die Überlassung der Fentanyl-Pflaster könnte sich A wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar gemacht haben.

1. Tatbestand

Zu prüfen ist, ob A den Tatbestand des § 222 StGB vorliegend erfüllt hat.

Hierfür müsste er den Tod eines anderen Menschen fahrlässig herbeigeführt haben. Durch das Verschreiben der Fentanyl-Pflaster konnte sich S die Überdosis setzen, welche zu dessen Tode führte, sodass ein Erfolg im Sinne des § 222 StGB gegeben ist.

Wie bereits ausgeführt, war die Handlung des A, also das Verschreiben der Pflaster, nach der Äquivalenzformel kausal für den Tod des S.

Ferner müsste A objektiv sorgfaltswidrig gehandelt haben. A überließ dem drogensüchtigen S eine größere Menge an Substitutionsmitteln, ohne sich vorher ausführlich mit ihm über die darin bestehende Gefahr zu unterhalten oder eine ausführliche Untersuchung des Patienten durchzuführen, sodass eine entsprechende objektive Sorgfaltswidrigkeit gegeben ist. Insbesondere waren die Folgen auch objektiv vorhersehbar: Das Überlassen von Substitutionsmitteln an Suchtpatienten birgt immer ein gewisses Risikopotenzial, sodass hier eine objektive Vorhersehbarkeit bejaht werden kann.

Die Tat müsste A auch objektiv zurechenbar sein. Richtigerweise gelten in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung die für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe hier entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden. Da eine solche vorliegend zu verneinen ist, scheidet auch im Rahmen der fahrlässigen Tötung eine objektive Zurechnung des Todes von S aus.

2. Ergebnis

A hat sich auch nicht wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar gemacht. Er bleibt somit nach dem StGB straflos.

Anmerkung: Es überzeugt insoweit, im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts zum selben Ergebnis zu kommen. Denn wenn im Rahmen des Vorsatzdeliktes bereits festgestellt wurde, dass aufgrund der Verantwortlichkeit des Opfers der Täter nur eine „Nebenrolle" spielte und mangels einer Strafbarkeit von Beihilfe zur eigenen Verletzung (mit Todesfolge) insoweit die objektive Zurechnung ausscheiden muss, gilt Vergleichbares bei dem Fahrlässigkeitsvorwurf des § 222 StGB. Zwar gibt es bei reinen Fahrlässigkeitsdelikten die Möglichkeit einer „Nebentäterschaft". Eine solche setzt aber voraus, dass es keinen „Haupttäter" gibt, dessen Verantwortlichkeit im Vordergrund steht. So ist es aber hier angesichts der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung seitens des S.

D) Kommentar

(bb). Die dem Fall zugrunde liegende Rechtsprechung stellt keine Neuigkeit dar. Merken sollten Sie sich vor allem, dass nicht vorschnell ein überlegenes Wissen des Hintermannes angenommen werden kann, ohne die konkrete Situation beim Vordermann mit zu berücksichtigen.

E) Zur Vertiefung

  • Zur objektiven Zurechnung

Hemmer/Wüst, Strafrecht AT I, Rn. 116 ff.

  • Zur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit

Hemmer/Wüst, Strafrecht AT I, Rn. 616 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Wie sind die Fälle der Selbst- bzw. Fremd-gefährdung voneinander

    abzugrenzen?

  2. Wie werden Fälle der Fremdgefährdung behandelt?

  1. Vgl. Fischer, § 223 StGB, Rn. 4.

  2. Vgl. Fischer, § 223 StGB, Rn. 8.

  3. Vgl. Fischer, Vor § 13 StGB, Rn. 21.

  4. Vgl. Fischer, Vor § 13 StGB, Rn. 24.

  5. BGHSt 39, 322 (324 f.)

  6. BGHSt 32, 262 (264 f.); 46, 279 (288); 49, 34 (39)

  7. Vgl. Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. StGB, Rn. 52a, 107.

  8. Vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2009 -- 4 StR 328/08 = Life & Law 2009, 179 ff.

  9. Vgl. Fischer, Vor § 13 StGB, Rn. 36 m.w.N.