Ortsgebundenheit von Mobilfunksendeanlagen im Außenbereich? -- Nicht so streng!

BVerwG Urt. v. 20. 6. 2013 -- 4 C 2/12, NVwZ 2013, 1288

von Life and Law am 01.02.2014

+++ Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 I Nr. 3 BauGB +++ Ortsgebundenheit öffentlicher Versorgungseinrichtungen +++ Rechtsschutz gegen Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens +++

Sachverhalt (vereinfacht): Die M-AG (M) betreibt Mobilfunksendeanlagen für Handynetzbetreiber. Nachdem die Mobilfunkanbieter verpflichtet sind, bestehende Empfangslücken in ländlichen Regionen zu schließen, beantragt M eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage auf einem im Außenbereich der oberbayerischen Gemeinde G gelegenen und von M gepachteten Grundstück. Die Sendeanlage hätte laut Bauantrag einen 30,32 m hohen Stahlgittermast und einem 6 m hohem Stahlrohraufsatz, zwei Fertigteil-Funkcontainer sowie einen 25 qm großen geschotterten Parkplatz. Die Gemeinde G fürchtet um die schöne Landschaft und verweigert ihr gemeindliches Einvernehmen. Sie habe insbesondere Zweifel an der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens, nachdem diese Sendeanlage doch nicht zwingend nur auf dieses eine Grundstück gebaut werden könne. Vielmehr stünde der M ein ganzes Areal zur Verfügung, von dem aus die Versorgungslücke im Mobilfunknetz geschlossen werden könnte. Ein Teil dieses Areals liege sogar (was zutrifft) im Innenbereich. Die M könne sich doch auch hier irgendein Grundstück pachten, so würde immerhin der Außenbereich von dieser hässlichen Bebauung freibleiben.

Wegen des fehlenden Einvernehmens der Gemeinde lehnt das zuständige Landratsamt den Antrag ab. M hält dem entgegen, sie verfüge nur über dieses eine Grundstück. Der Eigentümer des freien Grundstücks im Innenbereich habe bereits klargemacht, er werde sein Grundstück für so einen „neumodischen Schmarrn" nicht hergeben. Die Gemeinde habe ihr Einvernehmen deshalb nicht verweigern dürfen.

Die M erhebt daher unmittelbar nach Bekanntgabe der Versagung der Baugenehmigung Klage beim Verwaltungsgericht München „auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens".

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

A) Sounds

1. Zur Inanspruchnahme der Privilegierung als öffentliche Versorgungsanlage nach § 35 I Nr. 3 BauGB genügt bei Mobilfunksendeanlagen an Stelle der Ortsgebundenheit ihre Raum- bzw. Gebietsgebundenheit.

2. Auf technisch geeignete Standortalternativen im Innenbereich muss sich der Bauherr einer Mobilfunksendeanlage nur verweisen lassen, wenn sie ihm zumutbar sind.

3. Eine Klage auf Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ist als Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung auszulegen.

B) Problemaufriss

Die vorliegende Entscheidung ist nicht nur äußerst praxisrelevant, sondern bietet sich auch hervorragend als Klausurfall im Examen an.

Es stellt sich im Wesentlichen die Frage, ob die Ortsgebundenheit von Versorgungseinrichtungen i.S.d. § 35 I Nr. 3 BauGB stets auf einen konkreten Ort bezogen sein muss, oder ob für bestimmte Vorhaben auch eine weite Auslegung des Merkmals erforderlich ist, wenn etwa ein Vorhaben in einem bestimmten Gebiet platziert sein muss, es aber egal ist wo genau. Es gilt also abzuwägen, ob einer Privilegierung eines nur gebietsgebundenen Vorhabens der Vorrang vor dem Grundsatz eines unbebauten Außenbereichs einzuräumen ist.

C) Lösung

Die Klage hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie in die Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts fällt (I.), sie zulässig (II.) und begründet (III.) ist.

Anmerkung: Beachten Sie, dass hier ein dreistufiger Aufbau gewählt wurde, nachdem dies der inzwischen wohl h.M. entspricht. Vertretbar wäre es auch, einen nur zweistufigen Aufbau zu wählen, bestehend aus (I.) Zulässigkeit und (II.) Begründetheit. Sachgerechter ist jedoch die hier gewählte Lösung, in der die Entscheidungskompetenz des Gerichtes vor der Zulässigkeit der Klage geprüft wird. Hintergrund ist, dass bei fehlender Entscheidungskompetenz des Gerichtes (sei es weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, oder das Gericht sachlich oder örtlich unzuständig ist) keine Abweisung der Klage als unzulässig erfolgt, sondern die Klage an das zuständige Gericht verwiesen wird, vgl. (§ 83 VwGO i.V.m.) § 17a II GVG.

I. Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts

Zunächst müsste die Entscheidung über die Klage in der Kompetenz des Gerichts liegen.

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Hierzu muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Nachdem eine aufdrängende Sonderzuweisung nicht ersichtlich ist, richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach der Generalklausel des § 40 I VwGO. Voraussetzung ist, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und keine abdrängende Sonderzuweisung besteht.

Die streitentscheidenden Normen sind vorliegend solche des öffentlichen Baurechts, insbesondere des Bauplanungsrechts nach §§ 29 ff. BauGB, sodass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist diese auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Somit ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I VwGO eröffnet.

Anmerkung: Fassen Sie sich an dieser Stelle auch in der Klausur durchaus kurz. Ein Ausbreiten der einschlägigen Theorien (Interessentheorie, Subordinationstheorie, modifizierte Subjektstheorie) ist in solch evidenten Fällen nicht nötig und kann unter Umständen sogar als mangelnde Schwerpunktsetzung negativ bewertet werden.

2. Zuständigkeit des Gerichts

Nachdem das Vorhaben im Gemeindegebiet der Gemeinde G in Oberbayern liegt, ist das VG München gem. § 52 I Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 II Nr. 1 (Bay)AGVwGO örtlich und gem. § 45 VwGO sachlich zuständig.

3. Zwischenergebnis

Die Entscheidungskompetenz des VG München ist eröffnet.

II. Zulässigkeit

Die Klage müsste auch zulässig sein.

1.Statthafte Klageart

Zunächst ist zu klären, welche Klageart vorliegend statthaft ist. Dies richtet sich grundsätzlich nach dem klägerischen Begehren, § 88 VwGO.

Laut Sachverhalt begehrt die M das Ersetzen des gemeindlichen Einvernehmens. Fraglich ist aber, ob dieses überhaupt durch eine Klage erreicht werden kann.

a) Verpflichtungsklage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens

Es kommt insoweit eine Verpflichtungsklage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens in Betracht, § 42 I Alt. 2 VwGO. Hierfür müsste es sich aber bei dem gemeindlichen Einvernehmen um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG handeln. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich hierbei um eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalls mit Außenwirkung handelt.

Bei dem gemeindlichen Einvernehmen handelt es sich aber um ein reines Verwaltungsinternum, das grundsätzlich gegenüber dem Bürger keine Außenwirkung entfaltet.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn für die zur Erteilung der Baugenehmigung zuständige Behörde die Möglichkeit einer Ersetzung besteht, was hier gem. § 36 II S. 3 BauGB i.V.m. Art. 67 BayBO durch das zuständige Landratsamt möglich gewesen wäre. In diesem Fall entfaltet lediglich die Entscheidung des Landratsamtes Außenwirkung gegenüber dem Bauherrn.

Somit ist das gemeindliche Einvernehmen jedenfalls kein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG. Eine Verpflichtungsklage scheidet demnach aus.

b) Allgemeine Leistungsklage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens

Nachdem dem gemeindlichen Einvernehmen keine Verwaltungsaktqualität zukommt, wäre eine allgemeine Leistungsklage auf die Erteilung des Einvernehmens denkbar. Diese ist zwar nicht ausdrücklich in der VwGO geregelt, wird aber in verschiedenen Vorschriften wie §§ 43 II, 111 und 113 IV VwGO als existent vorausgesetzt.

Anmerkung: Machen Sie sich noch einmal das Verhältnis zwischen der Verpflichtungsklage und der allgemeinen Leistungsklage klar:

Die Verpflichtungsklage ist eine (besondere) Leistungsklage auf Erlass eines Verwaltungsakts. Für alle anderen Fälle, in denen der Bürger ein bestimmtes Handeln einer Behörde begehrt, ist die allgemeine Leistungsklage statthaft.

Fraglich ist aber, ob eine solche Klage überhaupt möglich ist -- schließlich ist das gemeindliche Einvernehmen lediglich eine Mitwirkungshandlung für die Sachentscheidung einer anderen Behörde. Das gemeindliche Einvernehmen ist also eine reine Verfahrenshandlung. Solche Handlungen können aber gem. § 44a VwGO nicht Gegenstand eines Rechtsbehelfs sein. Die wohl h.M. sieht hierin eine besondere Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses, weil der Bürger durch das gemeindliche Einvernehmen noch überhaupt nichts bekommt. Die Sachentscheidung über den Bauantrag obliegt ja weiterhin der hierfür zuständigen Behörde.

Prozessökonomie

Es wäre prozessunökonomsich, wenn man dem Bürger zunächst eine Klage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens erlauben würde und er im Anschluss noch einmal klagen müsste, nämlich (hier) gegen das Landratsamt auf Erteilung der Baugenehmigung.

Aus diesem Grunde scheidet auch eine allgemeine Leistungsklage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens aus.

c) Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung

Nachdem aus § 44a VwGO folgt, dass eine Klage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nicht möglich ist, stellt sich die Frage, welche Klage dem Bauherrn in dieser Konstellation zur Verfügung steht.

Insoweit kommt nur eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage auf Erteilung der Baugenehmigung in Frage. Das Gericht hat dann nach einer notwendigen Beiladung der Gemeinde inzident zu prüfen, ob das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen ist. Das Urteil wirkt dann auch gegen die Gemeinde, §§ 121 Nr. 1, 65 II, 63 Nr. 3 VwGO.

Auslegung des Klageantrags

Der Klageantrag der M ist insoweit gem. § 88 VwGO auszulegen. Im Verwaltungsrechtsweg hat das Gericht demnach die Anträge anhand des wahren Klagebegehrens auszulegen. Es kommt der M hier erkennbar auf die Erteilung der Baugenehmigung an. Wenn die M irrtümlicher Weise davon ausgeht, dass ihr eine Klage auf Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens hierfür bereits ausreicht, hat das Gericht diesen Mangel an juristischer Sachkenntnis durch Auslegung zu beseitigen.

Da der Antrag auf die Baugenehmigung bereits abgelehnt wurde, handelt es sich um eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage i.S.d. § 42 I Alt. 2 VwGO.

Anmerkung: Die Alternative wäre eine Klageänderung nach einem entsprechenden richterlichen Hinweis, §§ 86 III, 91 VwGO. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur Auslegung nach § 88 VwGO: Bei einer Lösung mittels Auslegung ist von Anfang an die „richtige" Klage erhoben und damit auch die Frist des § 74 II, I VwGO gewahrt. Bei einer Klageänderung würde hingegen die zunächst erfolgte Erhebung der Leistungsklage diese Frist nicht hemmen. Da die Klageänderung jedenfalls in der Praxis regelmäßig erst nach Ablauf der Klagefrist erfolgen wird, scheitert die Verpflichtungsklage an § 74 VwGO!

2. Klagebefugnis

M wäre klagebefugt i.S.d. § 42 II VwGO, soweit sie möglicherweise einen Anspruch auf die Erteilung der Baugenehmigung hat, da sie dann durch die Ablehnung des Bauantrags in ihren Rechten verletzt wäre. Ein solcher möglicher Anspruch ergibt sich vorliegend aus Art. 68 I BayBO. Somit ist die M klagebefugt.

Anmerkung: Beachten Sie: Die Adressatentheorie ist im Rahmen einer Versagungsgegenklage trotz des ablehnenden Bescheides nicht anwendbar. Es geht dem Kläger gerade nicht um die Aufhebung des belastenden Ablehnungsbescheids, sondern um die Verurteilung zum Erlass der begehrten Baugenehmigung. Deshalb muss ihm gerade hierauf ein mögliches Recht, ein Anspruch zustehen.

3. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

Vom Vorliegen der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen ist auszugehen.

Anmerkung: In der Klausur wären hier noch die Frist, Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens, Form der Klageerhebung und die personenbezogenen Zulässigkeitsvoraussetzungen anzusprechen.

4. Zwischenergebnis

Die Klage ist als Versagungsgegenklage zulässig.

III. Beiladung

Die Gemeinde ist in dem Verfahren notwendig beizuladen, § 65 II VwGO.

Anmerkung: Die Beiladung ist weder Voraussetzung der Zulässigkeit noch der Begründetheit. Die Beiladung hat nämlich durch das Gericht zu erfolgen. Etwas, das nicht in den Pflichtenkreis des Klägers fällt, kann eine Klage natürlich nicht unzulässig oder unbegründet machen, da der Kläger ansonsten unter einem Verschulden des Gerichts leiden würde. Sinn und Zweck der Beiladung ist alleine die Erstreckung der Rechtskraft auch auf den Beigeladenen, §§ 121, 63 Nr. 3 VwGO.

IV. Begründetheit

Die Klage ist begründet, soweit sie sich zum einen gegen den richtigen Beklagten richtet, § 78 I VwGO, und zum anderen die Versagung der Baugenehmigung rechtswidrig ist, die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist und die Sache spruchreif ist, § 113 V S. 1 VwGO. Letzteres ist dann der Fall, soweit dem Kläger ein Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt zusteht.

1. Passivlegitimation

Die Passivlegitimation richtet sich gem. § 78 I Nr. 1 VwGO nach dem Rechtsträgerprinzip, sodass eine Verpflichtungsklage gegen den Rechtsträger der für den begehrten Verwaltungsakt zuständigen Behörde zu richten ist.

Zuständige Behörde für die Erteilung der Baugenehmigung ist gem. Art. 53 I BayBO die Kreisverwaltungsbehörde als untere Bauaufsichtsbehörde. Bei kreisangehörigen Gemeinden ist folglich das Landratsamt als Staatsbehörde i.S.v. Art. 37 I S. 2 LKrO, Art. 54 I BayBO für die Erteilung zuständig.

Als dessen Rechtsträger ist damit der Freistaat Bayern passivlegitimiert.

2. Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung aus Art. 68 BayBO

Die M müsste einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung haben.

Voraussetzung hierfür sind gem. Art. 68 I BayBO (v.a.) die Genehmigungspflichtigkeit und Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens.

a) Genehmigungspflichtigkeit

Die Genehmigungspflichtigkeit eines Vorhabens bestimmt sich nach Art. 55 I BayBO. Hiernach ist ein Vorhaben genehmigungspflichtig, das die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen zum Gegenstand hat, soweit in Art. 56 bis 58, 72 und 73 BayBO nichts anderes bestimmt ist.

Die Mobilfunksendeanlage ist eine Anlage i.S.d. Art. 2 I S. 1 u. S. 4 BayBO, die errichtet werden soll und fest mit dem Erdboden verbunden ist.

Es ist auch keine Ausnahme gem. der Art. 56 ff. BayBO einschlägig, insbesondere fällt das Vorhaben angesichts seiner Gesamthöhe nicht unter Art. 57 I Nr. 4b u. Nr. 5 BayBO.

Das Vorhaben ist mithin genehmigungspflichtig.

b) Genehmigungsfähigkeit

Im Rahmen der Genehmigungsfähigkeit ist zunächst zu klären, welcher Prüfungsumfang vorliegend einschlägig ist. Die BayBO unterscheidet insoweit zwischen dem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO und dem Verfahren nach Art. 60 BayBO.

Die Abgrenzung zwischen beiden Verfahren richtet sich danach, ob das Vorhaben ein Sonderbau i.S.d. Art. 2 IV BayBO ist. In diesem Fall ist das „normale" Genehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO durchzuführen. In allen anderen Fällen genügt das vereinfachte Verfahren nach Art. 59 BayBO.

Anmerkung: Die Auswirkungen dieser Unterscheidung in einer Klausur sind eher gering, da das Bauplanungsrecht in beiden Verfahren zu prüfen ist und hier i.d.R. der materielle Schwerpunkt einer Baurechtsklausur liegt. Der eigentliche Unterschied liegt in der Prüfungsdichte des Bauordnungsrechts. Während im Rahmen des Art. 59 BayBO nur Art. 63 I, II, 81 BayBO geprüft werden, ist im Rahmen des Art. 60 BayBO die komplette BayBO Prüfungsmaßstab.

Nachdem das Vorhaben hier eine Höhe von über 30 m hätte (laut Sachverhalt 30,32 m), liegt gem. Art. 2 IV Nr. 2 BayBO ein Sonderbau vor, sodass hier das Genehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO durchzuführen ist. Mithin bedarf es für die Genehmigungsfähigkeit sowohl der bauplanungsrechtlichen- als auch der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit.

aa) Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit

Fraglich ist vorliegend insbesondere, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist, Art. 60 S. 1 Nr. 1 BayBO. Dies bemisst sich nach den §§ 29 ff. BauGB.

Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB

Es müsste zunächst ein Vorhaben i.S.d. § 29 I BauGB vorliegen, damit die §§ 30 ff. BauGB überhaupt anwendbar sind. Dies ist der Fall, wenn es sich bei dem Mobilfunksendemast um eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 I BauGB handelt.

Bauliche Anlagen sind alle Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind und bodenrechtliche Relevanz aufweisen. Diese Voraussetzungen sind bei dem Mobilfunksendemast erfüllt.

Anmerkung: Beachten Sie, dass der Begriff der baulichen Anlage i.S.d. § 29 I BauGB nicht identisch mit dem Begriff der baulichen Anlage in § 2 I BayBO ist. V.a. dürfen Sie diese Vorschrift als Landesrecht nicht als Legaldefinition im Rahmen der bundesrechtlichen Vorschrift des § 29 BauGB heranziehen!

Da das Vorhaben hier laut Sachverhalt im Außenbereich der Gemeinde G liegt, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB.

Somit ist zwischen den privilegierten Vorhaben nach Abs. 1 und den sonstigen Vorhaben nach Abs. 2 zu differenzieren. Während letztere grundsätzlich im Außenbereich „ungewollt" und deshalb schon dann unzulässig sind, wenn ein öffentlicher Belang auch nur beeinträchtigt ist, sind die privilegierten Vorhaben im Außenbereich grundsätzlich zulässig, wenn nicht im Einzelfall öffentliche Belange entgegenstehen.

Mobilfunkmast als privilegiertes Vorhaben?

Ausgehend von dieser Differenzierung stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Mobilfunksendemast um ein privilegiertes Vorhaben i.S.d. § 35 I BauGB handelt.

Es könnte sich um eine Anlage i.S.d. § 35 I Nr. 3 BauGB handeln, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dient. Diese Voraussetzung liegt bei einem Mobilfunksendemast zweifellos vor.

Anmerkung: Dies gilt umso mehr, seitdem die flächendeckende Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit schnellem Internet politisch energisch vorangetrieben wird. Als Telekommunikationsdienstleistungen kann man seitdem nicht mehr nur eine sprachtelefonische Anbindung verstehen, sondern auch und gerade die Anbindung an ein schnelles Mobilfunknetz.

Demnach lägen die Voraussetzungen des § 35 I Nr. 3 HS 1 BauGB eigentlich bereits vor.

Ortsgebundenheit erforderlich?

Fraglich und umstritten ist allerdings, ob über die wörtlichen Voraussetzungen des § 35 I Nr. 3 HS 1 BauGB hinaus auch hier eine Ortsgebundenheit des Betriebes zu fordern ist, wie sie in § 35 I Nr. 3 HS 2 für die sonstigen Betriebe vorgeschrieben ist.

Ausgehend von dem gesetzgeberischen Willen, den Außenbereich nur in den absolut notwendigen Fällen für eine Bebauung zu öffnen, wird § 35 I Nr. 3 HS 1 BauGB nach Ansicht des BVerwG und der h.L. insoweit einschränkend ausgelegt, als auch für die im ersten Halbsatz der Norm genannten Vorhaben, eine spezifische Ortsgebundenheit, wie sie im zweiten Halbsatz genannt ist, gefordert wird. Allein die Art des Vorhabens als öffentlicher Versorgungsbetrieb soll es nicht zu einem privilegierten (und somit regelmäßig zulässigen) Vorhaben machen, wenn dieser Versorgungsbetrieb ebenso gut im Innenbereich platziert werden könnte. Die Gegenansicht argumentiert letztlich mit dem Wortlaut der Norm. Das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs spricht aber letztlich entscheidend für die Ansicht des BVerwG.

Anmerkung: Klausurtaktisch ist es geradezu zwingend, an dieser Stelle der h.M. zu folgen, da sich das zentrale Problem des Falles erst am Merkmal der Ortsgebundenheit festmachen lässt.

Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, den Außenbereich grundsätzlich frei von Bebauung zu halten, führt auch in anderen Alternativen des § 35 I BauGB zu einer restriktiven Auslegung. So ist eine Skihütte ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 I Nr. 4 BauGB, wenn sie für die gastronomische Grundversorgung der Skifahrer in dem Gebiet objektiv notwendig ist. Es genügt hingegen nicht, dass durch einen zusätzlichen Gaststättenbetrieb die Attraktivität des Skigebiets nur gesteigert wird.1

Ortsgebundenheit von Mobilfunkmasten

Demnach müsste die Mobilfunksendeanlage auch ortsgebunden sein. Ortsgebunden ist ein Gewerbe aber nur dann, wenn es nach seinem Gegenstand und seinem Wesen ausschließlich an der fraglichen Stelle betrieben werden kann.2 Problematisch im vorliegenden Fall ist, dass ein Mobilfunkmast regelmäßig nicht nur an einem bestimmten Platz stehen kann, sondern ein ganzes Areal an möglichen Sendeplätzen besteht. Sie sind also auf einen bestimmten Standort in der Regel nicht in derselben Weise angewiesen wie etwa ein Gewerbebetrieb, der Bodenschätze abbaut.3 Würde man die Ortsgebundenheit hier ohne Einschränkungen fordern, so würden Mobilfunksendeanlagen kategorisch aus der Privilegierung des § 35 I Nr. 3 HS 1 BauGB herausfallen -- was aber wieder dem Gesetzeswortlaut widerspräche.

Lösung des BVerwG: Ortsgebundenheit = Gebietsgebundenheit

Aus diesem Grunde vertritt das BVerwG in der vorliegenden Entscheidung eine „schonende" Auslegung des Merkmals der „Ortsgebundenheit" von Mobilfunksendeanlagen.

Würde am Merkmal der „Ortsgebundenheit" im herkömmlichen Sinn uneingeschränkt festgehalten, fielen Mobilfunksendeanlagen regelmäßig aus dem Anwendungsbereich des § 35 I Nr. 3 BauGB heraus, weil sie keiner Bindung an einen bestimmten Standort unterliegen. Sie sind nicht orts-, sondern lediglich raum- bzw. gebietsgebunden. Etwas anderes würde nur dann gelten, soweit die topografischen Verhältnisse die Einbeziehung der Anlage in die übergeordnete Mobilfunkstruktur oder weitere -- überörtliche -- Funktionen der Anlage ausnahmsweise einen ganz bestimmten Standort im Außenbereich erforderten.4

In Anbetracht der beschriebenen technischen Besonderheiten von Mobilfunksendeanlagen ist das BVerwG der Auffassung, dass das Merkmal der „Ortsgebundenheit" bei einer Mobilfunksendeanlage bereits dann erfüllt ist, wenn sie an einem funktechnisch hierfür geeigneten Standort im Außenbereich errichtet werden soll, um das Angebot an Telekommunikationsdienstleistungen zu verbessern, etwa weil durch die Anlage eine bestehende Versorgungslücke geschlossen werden soll. Es genügt mithin eine Raum- bzw. Gebietsgebundenheit, die durch eine entsprechende Standortanalyse des Vorhabenträgers nachzuweisen ist. Es kommt gerade nicht auf eine Grundstücksgebundenheit an.

aber: Verhältnismäßigkeitsprüfung als Korrektiv!

Das BVerwG hat jedoch stets betont, dass das Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs als Leitgedanke den gesamten § 35 BauGB beherrscht.5 Dieses Gebot gibt die Richtung vor, in welche die einzelnen Regelungen des § 35 BauGB auszulegen sind. Vor diesem Hintergrund bedarf die Ausdehnung der „Ortsgebundenheit" auf eine „Raum- bzw. Gebietsgebundenheit" von Mobilfunksendeanlagen einer Einschränkung für den Fall, dass Standortalternativen im Innenbereich bestehen.

Deshalb kann die „Ortsgebundenheit" nur dann bejaht werden, wenn -- neben der Raum- bzw. Gebietsgebundenheit des Vorhabens -- dem Bauherrn ein Ausweichen auf einen ebenfalls geeigneten Standort im Innenbereich nicht zumutbar ist. Das ist dann anzunehmen, wenn geeignete Innenbereichsstandorte aus tatsächlichen (z.B. der Grundstückseigentümer lässt die Errichtung der Anlage auf seinem Grundstück nicht zu) oder rechtlichen Gründen (z.B. die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage an einem geeigneten Standort ist bauplanungsrechtlich oder auf Grund örtlicher Bauvorschriften unzulässig oder aus zivilrechtlichen Gründen nicht realisierbar) nicht zur Verfügung stehen. Mit dieser Einschränkung wird den Erfordernissen der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs hinreichend Rechnung getragen, ohne die technischen Besonderheiten des Mobilfunks zu vernachlässigen.

Anwendung auf vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall bedeuten die vom BVerwG aufgestellten Grundsätze, dass M nur dann auf ein Grundstück im Innenbereich verwiesen werden könnte, wenn dies für sie zumutbar ist. Nachdem das geeignete Grundstück im Innenbereich laut Sachverhalt aber aus zivilrechtlichen Gründen von M nicht gepachtet werden kann, wäre eine Verweisung auf dieses Grundstück unzumutbar, da es das Vorhaben der M unmöglich machen würde. Die Bebauung des Grundstücks im Außenbereich ist im vorliegenden Fall daher ultima ratio, sodass das Vorhaben im Ergebnis gem. § 35 I Nr. 3 BauGB privilegiert ist.

kein Entgegenstehen öffentlicher Belange

Es sind keine öffentlichen Belange ersichtlich, die dem Vorhaben entgegenstehen würden. Das Vorhaben ist damit planungsrechtlich zulässig.

gemeindliches Einvernehmen

Somit war auch die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens rechtswidrig, da die Gemeinde das Einvernehmen nur versagen darf, wenn das Vorhaben planungsrechtlich nicht zulässig ist, § 36 II S. 1 BauGB. Mit der Verurteilung zum Erlass der Baugenehmigung ersetzt deshalb das VG das Einvernehmen der beigeladenen Gemeinde.

Anmerkung: Nach der Rechtsprechung wird das Einvernehmen als bloßes Internum bereits durch das Verpflichtungsurteil ersetzt.6 Eine Alternative wäre, die Genehmigungsbehörde zur Erteilung der Baugenehmigung unter Ersetzung des Einvernehmens nach § 36 II S. 3 BauGB i.V.m. Art. 67 BayBO zu verurteilen.

bb) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 60 BayBO

Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben den übrigen Voraussetzungen des Art. 60 BayBO, insb. bauordnungsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht, bestehen nicht.

cc) Zwischenergebnis

Das Vorhaben ist somit auch genehmigungsfähig. Ein Anspruch der M auf Erteilung der Baugenehmigung besteht.

V. Ergebnis

Die Klage ist somit auch begründet und wird demnach Erfolg haben.

D) Kommentar

(mg). Die Entscheidung überzeugt. Der (historische) Gesetzgeber des BauGB hatte bei der Schaffung des § 35 I Nr. 3 BauGB Telekommunikationsanlagen im Sinn, die wegen ihrer damaligen Beschaffenheit notwendigerweise ortsgebunden waren.

Diese Ortsgebundenheit hat sich durch die Entwicklung von Mobilfunknetzwerken relativiert, was diesbezüglich eine Anpassung der bisherigen Voraussetzungen nötig machte. Unverändert geblieben ist nämlich der politische und gesellschaftliche Wille, Telekommunikationsdienstleistungen auch im Außenbereich verfügbar zu machen.

Durch die erweiternde Auslegung der Ortsgebundenheit im Sinne einer Gebietsgebundenheit einerseits und dem Vorbehalt der Alternativlosigkeit des Vorhabens im Außenbereich andererseits gelingt dem BVerwG ein sachgerechter Ausgleich der widerstreitenden Interessen.

E) Background

Mit der Zulässigkeit eines Außenbereichsvorhabens beschäftigt sich auch die Entscheidung

BayVGH, Urt. v. 17.04.2013, 1 B 11.2800

Konkret ging es um die Genehmigungsfähigkeit des Umbaus eines Wochenendhauses im Außenbereich. Da das nichtprivilegierte Vorhaben i.S.d. § 35 II BauGB u.a. den Belang des § 35 III S. 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigte, wäre es nur dann zulässig, wenn es unter die Teilprivilegierung des § 35 IV S. 1 Nr. 5 BauGB fiele. Dies verneint der BayVGH mit folgendem Leitsatz:

Ein als Wochenendhaus genehmigtes Gebäude, das im Widerspruch zu materiellem Baurecht zu Dauerwohnzwecken genutzt wurde, kann nicht nach § 35 IV S. 1 Nr. 5 BauGB erweitert werden. Es ist nicht „zulässigerweise errichtet", selbst wenn es mittlerweile Bestandsschutz genießt.

§ 35 IV S. 1 Nr. 5 BauGB setzt zunächst das Vorhandensein eines „Wohngebäudes" voraus, weshalb die Vorschrift auf Wochenendhäuser nicht anwendbar ist. Dies ergibt sich auch aus dem mit ihr verfolgten Zweck, dem Eigentümer eines in zulässiger Weise errichteten Wohnhauses eine angemessene „Wohnraumversorgung" zur Beseitigung einer Härte zu ermöglichen und damit einen „erweiterten Bestandsschutz" zu gewährleisten. Die Vorschrift sollte hingegen weder eine Funktionsänderung von einem Wochenendhaus in ein zu Dauerwohnzwecken genutztes Wohngebäude zulassen noch war mit ihr beabsichtigt, die angemessene Erweiterung eines zulässigerweise errichteten Ferienhauses zu ermöglichen.

Außerdem muss das zu erweiternde Objekt zulässigerweise als Wohngebäude errichtet worden sein. Das „Gebäude" in § 35 IV S. 1 Nr. 5a BauGB bezieht sich auf das „Wohngebäude" im ersten Halbsatz der Norm.

Zulässigerweise errichtet in diesem Sinn ist ein Wohngebäude, wenn die bauliche Anlage einschließlich ihrer Nutzung dem materiellen Baurecht entsprochen hat oder wenn - trotz materieller Illegalität - eine Baugenehmigung für diese Nutzung erteilt worden ist.

F) Zur Vertiefung

  • Zur Zulässigkeit von Außenbereichsvorhaben

Hemmer/Wüst, Baurecht Bayern, Rn. 170 ff.

G) Wiederholungsfrage

  1. Was unterscheidet ein „Entgegenstehen" i.S.d. § 35 I BauGB von einer „Beeinträchtigung" öffentlicher Belange nach § 35 II BauGB?

  1. BayVGH, Beschl. v. 15.11.2012, 1 ZB 10.2422

  2. BVerwGE 50, 346, 348

  3. VGH München, Urt. v. 13.10.2009, Az. 1 B 08.2884

  4. BVerwG BRS 78 Nr. 114

  5. Vgl. zuletzt etwa BVerwG, NVwZ 2013, 805

  6. Vgl. bspw. BVerwGE 137, 74.